Theater der Unterdrückten

Aus der ITO Grundsatzerklärung:


Das Grundziel des Theaters der Unterdrückten ist die Humanisierung der Menschheit. Das Theater der Unterdrückten ist eine weltweite, gewaltlose und ästhetische Bewegung, die sich Mitteln des Theaters für Menschenrechte und eine Frieden ohne Passivität einsetzt. Das Theater der Unterdrückten besteht aus einem System von Übungen, Spielen und Techniken. Es basiert auf dem Wesen des Theaters, das entwickelt wurde, um Menschen darin zu unterstützen, das zu entwickeln, was sie bereits in ihrem Innersten mit sich tragen: Theater.

Jeder Mensch ist (bereits) Theater. Theater definiert sich als die gleichzeitige Existenz - im gleichen Raum und Kontext -von SchauspielerInnen und ZuschauerInnen. Jeder Mensch ist fähig, eine solche Situation zu begreifen und sich selbst darin zu sehen.

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Jeder Mensch kann in Rollen schlüpfen und schauspielern: um zu überleben, müssen wir notwendigerweise Handlungen ausführen und diese Handlungen sowie ihre Auswirkungen auf die Umwelt beobachten. Menschliches Sein bedeutet Theater-Sein: Die gleichzeitige Existenz von Schauspieler und Zuschauer in ein und dem gleichen Individuum. Das ist subjektives Theater. Wenn Menschen sich vorübergehend darauf begrenzen, ein Objekt, eine Person oder einen Raum zu beobachten und dabei auf ihr Bedürfnis und ihre Fähigkeit zum Handeln verzichten, übertragen sie ihre Energie und ihre Handlungsimpulse auf jenen Raum, jene Person oder jenes Objekt, was bedeutet, dass sie einen Raum innerhalb des (wahr genommenen größeren) Raumes kreieren: einen ästhetischen Raum. Das ist das objektive Theater. Alle Menschen benutzen in ihrem täglichen Leben die gleiche Sprache, die die Schauspieler/innen auf der Bühne benutzen: es sind Stimmen, Körper, Bewegungen und Ausdrucksweisen, die ihre Gefühle und ihr Begehren in die Sprache des Theaters übersetzen.

Das Theater der Unterdrückten bietet allen Menschen ästhetische Mittel, damit sie ihre Vergangenheit im Kontext der Gegenwart analysieren und darauf folgend die Zukunft erfinden können. Das Theater der Unterdrückten befähigt Menschen dazu, eine Sprache wieder zu entdecken, die sie bereits besitzen. Durch das Theaterspielen lernen wir, in der Gesellschaft zu leben. Wir lernen zu fühlen, indem wir fühlen, wir lernen denken, indem wir denken, zu handeln, indem wir handeln. Das Theater der Unterdrückten ist eine Probe für die Realität. Die Unterdrückten sind diejenigen Einzelpersonen oder Gruppen, denen ... ihr Recht auf Dialog und sozialer Teilhabe vorenthalten wird, oder die an der Umsetzung ihres Rechtes gehindert werden. ... Anzustreben ist die gleich berechtige Teilhabe in der Gesellschaft, die das wechselseitige Respektieren von Unterschieden einschließt. Das Theater der Unterdrückten basiert auf dem Grundsatz, dass jede menschliche Beziehung dialogischer Natur sein sollte ... (das) wesentliche Prinzip besteht darin, den Dialog zwischen Menschen wieder in gang zu setzen. .... Das Theater der Unterdrückten versucht Menschen in ihrem humanistischen Bestreben zu aktivieren, dessen Wesen durch einen Namen ausgedrückt wird: Theater der, von und für die Unterdrückten.

Es ist ein System, das den daran mitwirkenden Menschen Handlungen als Protagonisten innerhalb der Fiktion des Theaters ermöglicht, damit sie handelnde Subjekte ihres eigenen Lebens werden können.

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Es ist ein Instrument für die Erforschung des Selbst und des Anderen, zur Klärung und als Ausdrucksmittel unserer Wünsche. Es ist ein Werkzeug zur Veränderung von Umständen, die Unglück und Schmerzen produzieren, und es soll Frieden befördern. Es ist ein Instrument, das die Anerkennung der Unterschiede zwischen den Individuen und Gruppen fördert und alle Menschen in einen Dialog einbeziehen will. Schließlich will es dazu beitragen, dass wirtschaftliche und soziale Gerechtigkeit entstehen kann, denn sie ist die Grundlage wahrhaftiger Demokratie.

 

(vgl.: Helmut Wiegand (Hrsg.): Theater im Dialog: heiter, aufmüpfig und demokratisch. Deutsche und europäische Anwendungen des Theaters der Unterdrückten, ibidem-Verlag, Stuttgart 2004, 66-69.)


www.theatreoftheoppressed.org




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